Zuletzt aktualisiert 25. November 2024
Friedrich Merz, der designierte Kanzlerkandidat der CDU, sorgte mit seiner Rede im Bundestag am 13. November 2024 für erheblichen Wirbel. In seiner Ansprache skizzierte er eine Strategie, die auf den ersten Blick wie ein Versuch erschien, die Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Parteien zu festigen. Tatsächlich forderte Merz jedoch, dass die CDU gemeinsam mit der SPD und den Grünen nur solche Entscheidungen auf die Parlamentsagenda setzen solle, über die zuvor eine Einigung erzielt wurde. Dabei unterstrich er ausdrücklich, dass er verhindern möchte, dass Mehrheiten, die entweder zufällig oder absichtlich zustande kommen, von den „Damen und Herren von rechts außen“ – eine klare Anspielung auf die AfD – beeinflusst werden.
Die problematischen Aspekte der Rede
Merz‘ Vorschlag war offensichtlich darauf ausgerichtet, die AfD politisch zu isolieren. Das ist an sich kein neuer Ansatz und wird von vielen als notwendiges Mittel betrachtet, um den Einfluss der AfD einzudämmen. Doch bei genauerer Betrachtung offenbaren sich tiefere, problematischere Implikationen seiner Strategie, die weit über die AfD hinausgehen.
1.) Ausschluss der Opposition: Merz spricht in seiner Rede lediglich von Absprachen mit SPD und Grünen, zwei Fraktionen, die traditionell eher im linken Spektrum verortet sind. Er ignoriert damit bewusst die FDP, BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht), Die Linke sowie die fraktionslosen Abgeordneten. Diese Entscheidung wirft die Frage auf, ob Merz tatsächlich bereit ist, den parlamentarischen Prozess zu respektieren oder ob er versucht, die Vielfalt der Meinungen im Bundestag zu unterdrücken. Der bewusste Ausschluss anderer Fraktionen, die demokratisch legitimiert sind, ist ein Signal, das nicht nur bei der Opposition, sondern auch bei den Wählern für erhebliche Skepsis sorgt.
2.) Eingriff in den parlamentarischen Prozess: Die Absprache, nur vorab vereinbarte Entscheidungen auf die Tagesordnung zu setzen, stellt einen erheblichen Eingriff in den parlamentarischen Prozess dar. Normalerweise ist das Parlament der Ort, an dem unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen und in offenen Debatten um Mehrheiten gerungen wird. Merz‘ Vorschlag hingegen würde diesen Prozess bereits im Vorfeld beeinflussen und jegliche Überraschungen oder unerwartete Mehrheiten verhindern. Damit wird der demokratische Diskurs eingeschränkt und die Rolle des Parlaments als zentrale Entscheidungsinstanz in Frage gestellt.
3.) Verstecktes Misstrauen gegenüber den eigenen Reihen: Merz‘ Rede offenbart auch ein tiefes Misstrauen gegenüber den eigenen Reihen. Der Vorschlag, Mehrheiten durch Absprachen im Vorfeld zu sichern, deutet darauf hin, dass Merz befürchtet, dass sich einige Abgeordnete möglicherweise anders entscheiden könnten, als von der Parteiführung vorgegeben. Diese Unsicherheit signalisiert eine Schwäche in der eigenen politischen Führung und kann als Ausdruck der Angst interpretiert werden, die Kontrolle über die eigene Fraktion zu verlieren.
4.) Antidemokratische Tendenzen: Die Tatsache, dass Merz explizit verhindern möchte, dass „zufällige“ Mehrheiten durch die AfD oder andere Oppositionsparteien zustande kommen, kann als antidemokratisch verstanden werden. In einer Demokratie sind Mehrheiten, die sich durch Debatten und Abstimmungen ergeben, Ausdruck des Wählerwillens und der politischen Realität. Die gezielte Absprache zur Verhinderung solcher Mehrheiten unterläuft diesen Prozess und könnte als Versuch gewertet werden, den politischen Wettbewerb einzuschränken. Es ist nicht nur das Ziel, die AfD zu isolieren, sondern trifft auch alle Oppositionsparteien gleichermaßen und unterminiert das Vertrauen in den demokratischen Prozess.
Friedrich Merz‘ Position als Kanzlerkandidat
Mit dieser Rede hat sich Friedrich Merz selbst ins Abseits gestellt. Als Kanzlerkandidat der CDU müsste er eigentlich die Rolle des Brückenbauers zwischen den politischen Lagern einnehmen und den demokratischen Diskurs fördern. Stattdessen präsentiert er sich als jemand, der versucht, die parlamentarische Vielfalt zu kontrollieren und den Einfluss der Opposition zu minimieren. Dieses Verhalten wirkt elitär und kann als Zeichen einer Politik verstanden werden, die sich zunehmend von den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie entfernt.
Der Vorstoß von Merz offenbart zudem, dass er offenbar nicht bereit ist, sich dem Wettbewerb der Argumente zu stellen. Die Tatsache, dass er auf vorab getroffene Absprachen setzt, anstatt in offenen Debatten um Mehrheiten zu ringen, zeugt von einem autoritären Führungsstil, der in der modernen Demokratie auf wenig Verständnis stößt. Er riskiert damit, nicht nur die Unterstützung von potenziellen Koalitionspartnern wie der FDP zu verlieren, sondern auch das Vertrauen der Wähler, die in ihm einen Kanzlerkandidaten sehen, der die Demokratie stärken und nicht schwächen sollte.
Fazit
Friedrich Merz hat sich mit seiner Rede im Bundestag keinen Gefallen getan. Sein Vorschlag, Entscheidungen nur auf die Tagesordnung zu setzen, über die bereits Einigkeit mit SPD und Grünen besteht, wirkt wie ein verzweifelter Versuch, die parlamentarische Kontrolle zu sichern und unliebsame Mehrheiten zu verhindern. Dabei greift er zu Mitteln, die antidemokratisch wirken und die Integrität des parlamentarischen Prozesses infrage stellen.
Als Kanzlerkandidat der CDU müsste Merz eigentlich die Vielfalt der Meinungen im Parlament respektieren und sich für einen offenen Diskurs einsetzen. Stattdessen präsentiert er sich als Verfechter einer kontrollierten und abgesprochenen Politik, die wenig Raum für Überraschungen lässt. Dieses Verhalten könnte ihm am Ende zum Verhängnis werden, da es das Bild eines Politikers vermittelt, der die Demokratie eher als Hindernis denn als Fundament seiner politischen Arbeit betrachtet. In einer Zeit, in der das Vertrauen in die Demokratie ohnehin schwindet, ist dies ein gefährliches Signal.
David Cohnen
Foto oben: Friedrich Merz | Urheber: European People’s Party – EPP Congress Rotterdam – Day 1 | Lizenz: CC BY 2.0